Seit den Enthüllungen Edward Snowdens ahnt die Öffentlichkeit das Ausmaß geheim- und nachrichtendienstlicher Massenüberwachung. Neben dem Staat üben in einer digitalen Gesellschaft auch (Technologie-) Konzerne und jede:r Einzelne Formen der (Selbst-)Überwachung aus. Die Strukturen der Überwachung im 21. Jahrhundert sind aufgrund zahlreicher Systeme heterogener und vernetzter als im 20. Jahrhundert. Wie sehr die Überwachungsdiskurse der Gegenwart im Zwischenraum zwischen Fiktion und Wirklichkeit angesiedelt sind, verdeutlicht dieses Buch.
Die Studie betrachtet Romane und andere literarische Texte der Gegenwartsliteratur und stellt ihnen eine Untersuchung faktualer Texte gegenüber. In der Konfrontation von Fiktion und Realität werden Vorstellungen, Narrative und ihre Vermittlungsstrukturen gegenwärtige Überwachung deutlich, die Aufschluss über die der Gemeinschaft zur Verfügung stehenden Interpretationsmuster geben können. Die literarischen wie faktualen Textbeispiele entspringen denjenigen Kontexten von Überwachung und Privatheit, mit denen Individuen in ihrer Alltagswelt Berührungspunkte haben: Terror- und Sicherheitspolitik, Videoüberwachung im öffentlichen Raum, Gesundheitspolitik und -prävention, Praktiken der Selbstüberwachung in sozialen Netzwerken, etwa mithilfe von Tracker-Technologien. Die Fiktion erlaubt es, alternative Verläufe zu erproben, und imaginiert Chancen, Risiken und Gefahren gegenwärtiger Überwachungsphänomene oder -praktiken.
Das Textkorpus besteht aus den literarischen Werken (2009–2017) von Juli Zeh sowie den Romanen 1WTC (2011) von Friedrich von Borries und Follower (2016) von Eugen Ruge. Im Bereich der faktualen Texte werden Beispiele aus der Politik und der Werbung untersucht, die konkrete Überwachungsmaßnahmen, -ereignisse oder -produkte vermitteln. Es handelt sich um die politischen Sprech- und Erzählweisen der Innenminister nach Terrorwarnungen sowie des RKI am Beginn der Covid-19-Pandemie wie um Werbekampagnen zum autonomen Fahren, zu Fitnesstrackern und Smart Watches sowie zu sozialen Netzwerken.
In der Gesamtschau zeigen die Lektüren nicht nur Vorstellungswelten und Narrative sowie deren Implikaturen, sondern es werden vor allem literarische und faktuale Erzählverfahren wie die Perspektivierung gegenwärtige Überwachungserzählungen analytisch erarbeitet und nach der Rolle von Erzählungen und Fiktion im Diskurs befragt.