Reiner David (*1951) rekonstruiert anhand der Akten seine Geschichte in der DDR: die zunächst sozialistische Erziehung
und die beginnenden Zweifel, drei Semester Politische Ökonomie an der Karl-Marx-Universität in Leipzig, die Exmatrikulation
aus politischen Gründen, die Zeit als Bühnenarbeiter an der Komischen Oper und am Deutschen Theater, die bescheidenen
Möglichkeiten der Opposition vor Entstehung der DDR-Bürgerrechtsbewegung, seine zwei Fluchtversuche über Bulgarien und
die Ostsee, den Aufenthalt in zehn Gefängnissen (davon sieben Monate im Hochsicherheitstrakt von Brandenburg) bis zu seinem
Verkauf in den Westen im Sommer 1975.
Fast 700 Seiten persönlicher Stasiakten mit IM- Berichten und Vernehmungsprotokollen, die alten Studentenakten der
Karl-Marx-Universität und die Gerichts- und Gefängnisakten erlauben einen tiefen Blick in die Funktionsweise der DDR-Gesellschaft
in den frühen 70er Jahren. Diese Sprache kann man nicht neu erfinden, man muss sie zitieren.
Der Bericht fällt aber nicht bitter aus, vieles wirkt damals wie heute ausgesprochen komisch. Der Autor sieht sich nicht
als Opfer, sondern als Täter, oder besser: als Spieler in einem großen, langen Schachspiel. Er versuchte seine Gegenspieler
zu verstehen, er nahm ihre Ideologie ernst und diskutierte mit jedem offen über die politische Situation in der DDR.
Die Abteilung Inneres stellte fest:
„Ein Erziehungserfolg ist weder im Strafvollzug noch in Freiheit zu erwarten.“
Warum sollte man sich eine Geschichte ausdenken?
Das Leben schreibt die besten Storys.