Der Glaube an die Gläubigkeit des „mittelalterlichen Menschen“ ist nur schwer zu erschüttern. Sogar Giovanni Boccaccio, dem Autor des jahrhundertelang der kirchlichen Zensur unterworfenen Dekameron, wird nachgesagt, an alles Mögliche geglaubt zu haben. Die Maßstäbe, mit denen damalige christliche Gläubigkeit gemessen wird, sind jedoch falsch: Ein im Laufe des 20. Jahrhunderts duldsam gewordenes und sich in dogmatischen Fragen vorsichtig zurückhaltendes „Christentum“ wird stillschweigend auf frühere Jahrhunderte projiziert, als ob es schon immer in dieser Art dagewesen und nicht erst das Resultat aufklärerischer Kritik und einer langen Tradition geistigen Widerstands gegen religiöse Unvernunft wäre.
Joachim Winks Analyse der Religions- und Herrschaftskritik im Dekameron erlaubt es, Vorurteile über die Gläubigkeit des „mittelalterlichen Menschen“ zu korrigieren und besser zu verstehen, was es mit der gegenwärtigen Gläubigkeit auf sich hat.