Politische Anthropologie und Kulturanthropologie des Politischen haben sich in den turbulenten Zeiten der Konstituierung der europäischen Nachkriegsdemokratien als empirische Untersuchungsfelder formiert. Unter dem Eindruck aktueller gesellschaftspolitischer Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts akzentuieren sie sich erneut und fordern die Diskussion heraus.
Der vorliegende Band versammelt Beiträge aus der deutschsprachigen Kulturanthropologie und Europäischen Ethnologie, die sich als empirische Kulturwissenschaften mit alltagsweltlichen Forschungsfeldern befassen. Sie verstehen das Politische als Konzeption des Gesellschaftlichen und machen es im Alltag als ein Zusammenspiel von Interessen fest, die sich in Aushandlungsprozessen, Handlungsethiken, performativen Praktiken und subversiven Strategien manifestieren. Im thematischen Fokus der Auseinandersetzungen stehen Mensch-Umwelt-Beziehungen, staatliche und nicht staatliche Akteure, Institutionen und Politiken, Kulturprojekte und Rechtsverständnisse, Kunst und Medientechnologien. Mit ethnographischen und diskursanalytischen Zugängen werden Strukturen sozialer Macht und Herrschaft in Praktiken und Sinngebungen des Alltags ausgemacht. Sie zeigen auf, dass politische Indienstnahmen von Kultur, von 'Volkskultur' insbesondere, das Soziale und seine Machtstrukturen überdecken und mit Ästhetisierungsstrategien zur Camouflage ökonomischer Interessen einhergehen.
Die in dieser paradigmatischen Standortbestimmung versammelten Kulturanalysen formulieren ein fachbezogenes Verständnis des Politischen, durch das sie die Stärken politisch motivierter ethnographischer Zugänge ebenso unterstreichen wie die Herausforderungen an eine engagierte Wissenschaft, die sich in Zeiten der Krise nach wie vor an den Postulaten wissenschaftlicher Wertfreiheit stoßen muss.