Erzählungen bedürfen einer in irgendeiner Weise plausiblen Verknüpfung ihrer einzelnen Bestandteile, um als zusammenhängende, kohärente Einheit wahrgenommen werden zu können. Heutige Vorstellungen von narrativer Logik und Kohärenz werden in volkssprachigen Erzähltexten des Mittelalters jedoch immer wieder irritiert. Die Texte weisen Unebenheiten im Erzählverlauf, Unstimmigkeiten in der Handlungsmotivierung, unwahrscheinliche Raum-Zeit-Arrangements, eine oftmals verwirrende Überlagerung verschiedener narrativer Ebenen und andere Inkohärenzen auf, die modernen Lesern ihre Lektüre erschweren können. Handelt es sich bei diesen Phänomenen um Fehler? Das Buch entwirft eine Systematik zur Beschreibung narrativer Inkohärenzen in der mittelhochdeutschen Epik des 12. Jahrhunderts. Es zeigt, wie fundamental die Konstitution der vor- und frühhöfischen Erzähltexte von den medial-pragmatischen und kognitiven Rahmenbedingungen ihrer Rezeption geprägt ist. Ihre Kohärenzstrukturen und -prinzipien spiegeln eine visuell-auditive Erzählpraxis, die kennzeichnend ist für die Zeit eines Übergangs zwischen konzeptionell mündlicher und konzeptionell schriftlicher Kommunikation von Literatur.