Die vorliegende Studie legt eine Neuinterpretation von Wolframs »Parzival« unter Berücksichtigung diskursanalytischer und gendertheoretischer Fragestellungen vor: Wolframs Experimentieren mit unterschiedlichen Konzepten von Weiblichkeit und Männlichkeit wird als "öffentliche" Auseinandersetzung mit Denk- und Argumentationsschemata der unmittelbaren literarischen Tradition (Heinrich von Veldeke, Hartmann von Aue, Chrétien de Troyes) verstanden. Damit wird erstmals der inhaltlichen Dominanz des Themenkomplexes "Geschlechterbeziehungen" in der nicht-geistlichen Erzählliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts umfassend Rechnung getragen.
Mittelpunkt der Analyse bilden die Gawan-Bücher des »Parzival« Durch detaillierte Textarbeit wird offen gelegt, wie Wolfram im Akt des Erzählens die bis dahin literarisch konventionalisierten Modelle zwischengeschlechtlicher Beziehungen dekonstruiert, um eine neue Form des Geschlechterverhältnisses im Rahmen des höfischen Romans zu begründen. Dieses Modell einer neuen Geschlechterbeziehung wird schließlich an den Gahmuret- und Parzival-Büchern überprüft, bevor die Bedeutung der gewonnenen Ergebnisse für eine Gesamtinterpretation des »Parzival«-Romans geklärt wird. Hierbei liefert speziell der bislang in der Forschung unterschätzte Stellenwert der Gawan-Erzählung Anlaß zu einer Neubewertung des Gesamtromans.